Dienstag, 15. März 2011

René Zey
Pommes blut-weiß

Tatort: Essen - Westviertel
Schaschlik 3,20
Frikadelle 1,80
Grillhaxe 5,90

Dunkler Rauch quoll aus dem Fenster des »Tura-Grills«, hüllte das Pommesbüdchen und die halbe Oberdorfstraße in eine graue, wabernde Wolke. Die Fritteuse hatte sich überhitzt, rabenschwarze Fritten tanzten an der Oberfläche, versanken im blubbernden Schaum, um Sekunden später daraus noch schwärzer wieder aufzutauchen. Das Fett brutschelte mit 180 Grad, spritzte zischend nach allen Seiten, schwappte unkontrolliert über den Rand und glitt in breiten Streifen die Edelstahlflächen hinunter.
Hannas Körper lag auf dem gefliesten Boden, eingezwängt zwischen der Kühltruhe und dem Unterschrank der Theke. Ihre Beine lang ausgestreckt, ihr Rücken an das Stahlgerüst des Grills gelehnt, auf dessen Stangen sich ein Dutzend viel zu krosser Hähnchen drehten. Hannas Kopf war zur Seite abgeknickt, ihre Augen geschlossen. Sie trug einen weißen Kittel und umklammerte mit der Linken eine blaue Plastikschüssel mit ein paar rohen Bratwürsten. Einige Würste waren aus der Schüssel gerutscht und lagen zwischen Hannas Körper und der Kühltheke. Von der Fritteuse war Fett auf Hannas Haar gespritzt, hatte sich seinen Weg entlang ihrer Wange gesucht, um schließlich als brauner, öliger Fleck vom Kragen ihres Kittels aufgesaugt zu werden.
Der Mann aus dem Sonnenstudio an der Helenenstraße hatte Hanna gefunden, sah sie erst spät, weil sie unterhalb der Theke lag. Er hatte zunächst geduldig vor dem Schalter gewartet, vermutete, dass Hanna auf der Toilette im Keller des »Tura-Grills« war. Schließlich hatte er nach ihr gerufen und sich dann durchs Fenster gebeugt. Danach hatte der Mann aus dem Sonnenstudio an der Tür des Grills gerüttelt, aber es war eine Stahltür, die von innen abgeschlossen war. Die Verkäuferinnen hatten Anweisung, die Tür verschlossen zu halten - wegen der Überfälle in letzter Zeit. Im Mai und im Juli waren Maskierte in den Grill eingedrungen, hatten beim ersten Mal Hanna und beim zweiten Mal einer Aushilfe eine Pistole unter die Nase gehalten. Beides Male waren die Täter mit der Tageseinnahme verschwunden. Aber diesmal schien es kein Überfall gewesen zu sein, denn die Kasse - eine pralinenschachtelgroße Stahlkassette - stand offen auf dem Tisch neben der Kühltruhe. Weder Scheine noch Kleingeld fehlten, wie die Polizei später feststellte.

weiter in: Schicht im Schacht 
Homepage des Tura-Grills (im Aufbau)
derwesten.de: "Wat schönret gibbet nich als wie Currywurst" 
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Ralf Kramp: Nachts im Museum
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Der Autor:
René Zey,
geboren 1955 in Essen, studierte Philosophie und Germanistik in Essen, Bonn und Münster und arbeitete anschließend als Verlagslektor, ehe er sich mit einem Medienbüro selbstständig machte. Mit seinem Lyrikband »Sommersemester – Wintersemester« und der Erzählung »Hauptstudium« landete er in den achtziger Jahren zwei veritable Szene-Bestseller. Seither veröffentlichte er eine Vielzahl von Sachbüchern und Ratgebern.